Zur Ausrüstung von Blaulichtkräften gehören auch Trainingszentren. In Schaffhausen steht der Polizei und der Eidgenössischen Zollverwaltung EZV dafür seit gut einem Jahr die Trainings- und Schiessanlage Solenberg zur Verfügung.
Ein unscheinbarer Turm, ein Zaun mit Automatiktor, ein Treppenabgang. Wenig weist auf die für rund 5,7 Millionen Franken errichtete, seit Januar 2019 in Betrieb befindliche Trainings- und Schiessanlage (TSA) Solenberg bei Schaffhausen hin. Der Grund: Die rund 1’000 Quadratmeter grosse Anlage befindet sich unter der Erde, wird demnächst mit dem neuen Polizei- und Sicherheitszentrum (PSZ) des Kantons Schaffhausen (siehe Box) überbaut.
Allerdings: Die TSA «gehört» nicht dem Kanton Schaffhausen allein. Vielmehr ist sie ein Kooperationsprojekt, wurde vom Kanton Schaffhausen respektive der Schaffhauser Polizei und der Eidgenössischen Zollverwaltung (EZV; künftig: Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit BAZG) gemeinsam finanziert und wird partnerschaftlich genutzt.
Daher warten am Treppenabgang gleich zwei Führungspersonen: Gabriela Biber, Chefin Einsatzunterstützung Zoll Nordost der EZV, und Ravi Landolt, Chef der Sicherheitspolizei und Stellvertretender Kommandant der Schaffhauser Polizei. Beide waren intensiv in die Planung und Realisierung der Anlage involviert – und stehen Mitte März 2020 mutterseelenallein auf dem Areal. «Der Trainingsbetrieb ist sistiert –
die Corona-Krise … Sie verstehen», erklärt Gabriela Biber, ehe sie die Zugangstreppe hinabsteigt, an deren Ende sie die elektronisch gesicherte Eingangstür öffnet.
Unter normalen Umständen wäre die Anlage jetzt, wie an allen Wochentagen seit der Eröffnung, gut besucht. «Rund 180 unserer Leute trainieren hier viermal jährlich», erklärt Ravi Landolt – und Gabriela Biber sagt: «Bei uns durchlaufen gegen 300 Personen sechs Trainingsphasen pro Jahr.» Sie alle haben eine elektronische Karte, mit der sie Zutritt zur Anlage erlangen – nicht aber zu allen Räumen. «Die Trainierenden haben Zugang zu den Sanitäranlagen und können die Boxen für persönliche Wertsachen auf- und abschliessen. Die anderen Bereiche wie Schiesskeller, Munitions- und Waffenkammern, Werkstatt, Leitstelle oder Technik müssen von Leitungspersonen geöffnet werden», erklärt Gabriela Biber.
Gelbe Farbe für «psychisches Sonnenlicht»
Hinter dem Eingang befindet sich eine Schmutzschleuse, geradeaus geht’s zu den Sanitärräumen, links in das 150 Quadratmeter grosse Dojo, in dem Selbstverteidigungstechniken, taktische Fertigkeiten sowie die Handhabung nicht-letaler Einsatzmittel geübt und trainiert werden. «Die Schuhe ausziehen, bitte!», mahnt Ravi Landolt. Das dient erstens der Hygiene, zweitens braucht´s beim Training höchstens Socken (wenn überhaupt) und drittens wird der graue Kunststoffboden, unter dem eine federnde Spezialschicht steckt, geschont. «Der nachgiebige Boden verhindert Verletzungen – und spart die Zeit fürs Auslegen von Matten», sagt Gabriela Biber. Dann zeigt sie auf die Wände und die Decke: «Eine Spiegelwand erlaubt den Trainierenden gute Selbstkontrolle, die Lichtanlage die Simulation unterschiedlicher Sichtverhältnisse und dank Lautsprechern können wir jede beliebige Geräuschkulisse bis hin zum Lärm eines Rockkonzerts erzeugen.» Natürlich kann aber auch Hintergrundmusik eingespielt werden, etwa beim Aufwärmen. Das fördert das Wohlgefühl «unter Tage» ebenso wie die helle Decke und die gelb gestrichenen Türen der Schränke, in denen die Trainingsgeräte lagern.
Situationsbezogenes Training steht im Zentrum
Deren Vielfalt zeugt davon, wie mannigfaltig das Training im Dojo ist. «Hier trainieren, verfeinern und festigen die Einsatzkräfte ihre Kenntnisse und Fähigkeiten punkto Selbstverteidigung», sagt Ravi Landolt. «Dazu gehören körperliche Techniken ebenso wie der Einsatz von Hilfsmitteln wie Mehrzweckstock, Abwehrspray, Taser oder Handschellen.» Laut Gabriela Biber liegt dabei ein Hauptaugenmerk auf der Vermittlung situationsadäquater Handlungsweisen: «Alles, was im Einsatz auftreten kann, wird geübt – insbesondere auch die Kommunikation und die angemessene Wahl der Mittel.»
Zugunsten des erwünschten Austauschs von Neuem und Bewährtem trainieren «Frischlinge» und «alte Hasen» gemeinsam, in veränderlicher Komposition. «Ich lege grossen Wert darauf, dass die Dienstälteren durch die Jüngeren von aktuellen Methoden erfahren und die Jüngeren andersherum von der Erfahrung langjähriger Kolleginnen und Kollegen profitieren», sagt Ravi Landolt. Zudem achtet er darauf, dass die Instruktorinnen und Instruktoren bis zu 30 Prozent im regulären Dienst eingesetzt werden. «Wir brauchen Leitungspersonen mit Dienstalltagskenntnis. Nur so können sie die dort lauernden Herausforderungen ins Training einfliessen lassen.»
25-Meter-Schiessanlage mit Schiesskino
Verlässt man das Dojo und lässt die Sanitäranlagen links liegen gelangt man, vorbei an zwei Waffenpflegestationen, in den Schiessstand. Der misst 10 mal 30 Meter und bietet bis zu acht Personen Platz, um gleichzeitig im scharfen Schuss oder mittels Lasertrainingssystemen zu üben. Wände, Decke und Boden sind mit Splitter- und Abprallschutz ausgerüstet. Durch die gelochte hintere Wand wird Frischluft in die Anlage eingebracht. Sie strömt gleichmässig und über die gesamte Raumbreite mit 0,25 Metern/Sekunde Richtung Kugelfang, wo sie abgesaugt und durch Filter sowie Wärmetauscher hindurch wieder ins Freie geleitet wird. Ein stetiger leichter Unterdruck im Raum verhindert, dass beim Schiessen frei werdende Schadstoffe und Stäube in andere Bereiche der Anlage strömen. Dank der Wärmetauscher herrscht ein angenehmes Raumklima, die vielfach steuerbare Lichtanlage sorgt für Helligkeit – oder düstere Stimmung, etwa beim «Dämmerungstraining».
«Die Unabhängigkeit vom Tageslicht ist ein Vorteil», erklärt Gabriela Biber. «Rund 80 Prozent aller Schusswaffeneinsätze finden bei reduzierten Lichtverhältnissen, abends oder nachts, statt. Hier können wir diese Verhältnisse jederzeit simulieren. Auf den bisherigen Aussenplätzen musste das Training am Abend stattfinden, was für die Trainierenden, aber auch die Anwohner ungünstig war.»
Ein weiterer Vorteil ist das integrierte Schiesskino. Projektoren, scharf oder mit Lasertrainingsgeräten beschiessbare Papierleinwände, Lautsprecher und Lichtgeräte (etwa für zuckendes Blaulicht) erlauben die Darstellung realitätsnaher Täter-/Opferszenarien. Überdies können Fahrzeuge in den Schiessraum verbracht werden. «Bis das PSZ fertig sein wird, nutzen wir dazu einen Lift. Danach wird die TSA via Tiefgarage zugänglich sein», erklärt Ravi Landolt.
Die gesamte Technik kann aus der Leitzentrale heraus gesteuert werden – oder via iPad im Schiessraum. «Letzteres ist die Regel, denn bei Schiessübungen koordiniert und überwacht immer mindestens eine Leitungsperson direkt im Schiesskeller den Trainingsbetrieb», erklärt Ravi Landolt.
Präzision, Geschwindigkeit, Kommunikation
Grundsätzlich absolvieren die Einsatzkräfte von Polizei und EZV sehr ähnliche, in gewissen Details aber auch verschiedene Trainingsproramme. Diese beinhalten neben Präzisionsschiessen auch CMS-Trainings (Communicate, Move, Shoot) und weitere Methoden der modernen Schiessausbildung. Während die Angehörigen der EZV dabei «nur» mit Pistole oder halb automatischen Maschinenpistolen üben, werden bei den Trainings der Polizei auch Sturmgewehre eingesetzt, etwa durch Spezialeinheiten wie die Grenadiere.
Da diese mit den Langwaffen natürlich auch auf weitere Distanzen trainieren müssen und weil in der TSA weder Flinten (Schrot) noch Granatwerfer (Gummigeschosse) oder Gaspetarden eingesetzt werden können, nutzt die Schaffhauser Polizei weiterhin den angestammten Aussenschiessplatz «Wippel» bei Thayngen. «Dort können wir alle Mittel einsetzen und auch bei Wind, Regen und Kälte trainieren», sagt Ravi Landolt. «Allerdings konnten wir, zur Freude der Anrainer, die Trainingszeiten reduzieren, insbesondere in den Abendstunden.»
Ergänzend zu den Trainings dort und in der TSA führen Polizei und EZV «Realübungen» im öffentlichen Raum, Theorie- und Sanitätskurse sowie Sonderausbildungen für Angehörige von Spezialeinheiten wie Polizei-Grenadiere und Hundeführer durch. «In Summe tragen alle Massnahmen dazu bei, dass die Einsatzkräfte im Alltag ihren Job beherrschen», erklären Landolt und Biber.
Polymerkugelfang für Sicherheit und saubere Luft
Beim dafür nötigen Schiesstraining wurden in der TSA seit Anfang 2019 bereits gut 300’000 Schuss abgefeuert. Unerwünschte Spuren an Wänden, Decke oder Boden sind nicht zu finden. «Insgesamt schiessen unsere Einsatzkräfte auf gutem Niveau», schmunzelt Ravi Landolt. «Die Projektile fliegen, wohin sie fliegen sollen», sagt er – und deutet auf den Kugelfang. Dieser verbirgt sich hinter einem Kautschuk-Splitterschutzvorhang und besteht aus deckenhoch aufgeschichtetem, mit schweren Kunststoffmatten abgedecktem Polymergranulat. Die wild geformten, zwei bis rund fünf Zentimeter grossen Plastikteile bremsen die Projektile durch ihr «wasserähnliches» Reibungsverhalten auf kürzeste Distanz ab – im Gegensatz zu Stahllamellen zerstörungsfrei. «Da die Projektile nicht zersplittern, gelangen kaum schwermetallbelastete Stäube in die Raumluft. Zudem bilden sich im Granulat keine Geschossnester, wie man es von Sandkugelfängen kennt», erklärt Ravi Landolt. Laut Gabriela Biber ergaben Messungen der SUVA, «dass die Luftqualität dank dieses Kugelfangs und der modernen Verdrängungslüftung vorbildlich ist.» Weiterer Vorteil: Stecken irgendwann einmal mehrere Millionen Projektile im Granulat, wird alles abgesaugt, die Projektile werden ausgesiebt und das gereinigte Granulat zum grössten Teil wiederverwendet.
Fazit: Das Investment zahlt sich aus
Am Ende ist die obligate Frage nach der Bilanz der ersten 15 Monate überflüssig. Gabriela Biber und Ravi Landolt steht die Antwort in die Gesichter geschrieben: Sie sind happy. «In der TSA Solenberg ist an einem Ort jenes realitätsbezogene Training möglich, welches sicherstellt, dass die Einsatzkräfte potenzielle Bedrohungslagen sicher erkennen und adäquat auf diese zu reagieren verstehen. Die Vielfalt der darstellbaren Szenen, sei es im Dojo, im scharfen Schuss oder im Schiesskino, ist enorm, das Ziel stets dasselbe: Deeskalation, Eigenschutz, Fremdschutz und nach Möglichkeit keine Schussabgabe!», sagt Gabriela Biber. Ravi Landolt nickt – und ergänzt: «Gerade die Verhältnismässigkeit jeder Massnahme ist wichtig. Die Schussabgabe ist das letzte Mittel. Sollte es aber nötig sein, es einzusetzen, muss es getan werden – und zwar sicher und wirkungsvoll.»
Letztlich, sagen beide, gehe es immer um den Einsatz der richtigen Taktik und der adäquaten Mittel mit der korrekten Technik. Um dies in Fleisch und Blut übergehen zu lassen, ist Training unerlässlich. Entsprechend sind moderne Trainingszentren wie die TSA Solenberg ein unverzichtbarer Bestandteil der Ausrüstung von Polizei und EZV, aber auch aller anderen Blaulichtkräfte.