Stürzen Bäume infolge eines Sturms, starker Schneefälle oder anderer Naturereignisse auf Häuser, Strassen oder Wege, muss oft die Feuerwehr ran. Welche Gefahren die Beseitigung von Sturm- und Bruchholz birgt und worauf zu achten ist, lernten Offiziere der Feuerwehr Sirnach in einem Pilotkurs bei Revierförster Claude Engeler im Stützpunkt Fischingen.
Holzarbeiter haben einen der gefährlichsten Berufe – und sie zahlen die höchsten SUVA-Beiträge. Allein dies zeigt: Wer Hand respektive die Kettensäge an einen Baum legt, muss wissen, was er tut. Sonst schlägt sein letztes Stündlein vielleicht schneller, als er denkt.
Während mancher Hobbygärtner sein Leben freiwillig riskiert, tun es andere aus Pflichtbewusstsein und mit dem Willen, helfen zu wollen: die Angehörigen der Feuerwehren. Sie nämlich sind es, die meist zuerst gerufen werden, wenn «Not» am Mann ist. Beispielsweise dann, wenn ein abgebrochener oder umgestürzter Baum im Weg liegt.
Allerdings birgt die Beseitigung von Bruch- und Sturmholz ganz besondere Tücken. Spannungen im Holz können sich blitzartig entladen, sobald die Kettensäge ins Holz beisst. Der Baum «keilt» aus – und schwere, bisweilen tödliche Verletzungen können die Folge sein.
Feuerwehrkräfte müssen auch «holzen» können
Die Wahrscheinlichkeit, als Feuerwehrangehöriger mit Bruch- und Sturmholz konfrontiert zu werden, steigt. Einerseits, weil das Wetter immer wildere Kapriolen schlägt. Andererseits, weil viele Waldbesitzer angesichts erodierender Holzpreise die Pflege der Wälder vernachlässigen.
Revierförster Claude Engeler aus dem thurgauischen Balterswil kennt die Gefahren des Waldes – und Jürg Haldemann, Kommandant der Sirnacher Feuerwehr, bangt um die Unversehrtheit seiner Frauen und Männer. Gemeinsam beschlossen sie daher: Es braucht verstärkte, fachgerechte Aus- und Weiterbildung.
Ihr Konzept: ein eintägiger Kurs, in dem Offiziere der Feuerwehr, namentlich jene der Ersteinsatzgruppe, lernen, wie man richtig mit der Motorsäge arbeitet, worauf beim Einsatz im Sturm- und Bruchholz zu achten ist – und vor allem, wann die Situation es gebietet, die eigenen Segel zu streichen und Spezialisten mit schwerem Holzergerät, etwa einem Zangenschlepper, herbeizurufen. Auch wenn das bedeutet, dass etwa eine Strasse oder ein Forstweg längere Zeit gesperrt bleiben muss, bis die Gefahr beseitigt werden konnte. Denn Selbstschutz im Einsatz ist bekanntlich das A und O.
Pilotkurs «Kettensägenanwendung» für Feuerwehrkräfte
Mitte November 2019 war das von Claude Engeler und Jürg Haldemann gemeinsam erarbeitete Kurskonzept fertig – und sechs Offiziere der Feuerwehr Sirnach traten im Stützpunkt Fischingen, Kompetenzzentrum für forstliche Ausbildung, zum Pilotkurs an.
Der intensive Tag begann mit einem Film, in dem die Gefahren bei der Sturmholzbeseitigung in eindrücklichen Bildern und Sequenzen vorgeführt wurden. Danach folgte ein «technischer» Teil, in welchem Claude Engeler den Feuerwehrkräften zeigte, wie eine Kettensäge korrekt gewartet, gepflegt, eingestellt und auf Einsatztauglichkeit hin überprüft wird. Dabei zeigte sich: Zwei der sechs mitgebrachten (privaten) Sägen hatten Mängel: «Kette stumpf, Vergaser falsch eingestellt – nicht einsatzbereit», lautete Claude Engelers nüchternes Fazit. Danach ging es in den Wald.
Praktisch üben, was man können muss
Hier zeigte Claude Engeler, wie Bäume korrekt und vor allem sicher gefällt oder, sofern schon gekippt oder gebrochen, vollends umgelegt, zerkleinert, entastet und mithilfe des «Zappi», eines langstieligen Hakenwerkzeugs, dessen gekrümmte Spitze an den Schnabel eines Raubvogels erinnert, bewegt werden können. Verblüffend: Korrekt eingesetzt vermag ein durchschnittlicher Mann mit dem Zappi Lasten von bis zu 1,5 Tonnen zu bewegen!
Am Beispiel eines zielgerichtet «falsch» gefällten Baumes, der sich, anstatt frei zu fallen, im oberen Bereich an anderen Stämmen «anlehnte» und sich in deren Ästen verhedderte, zeigte Claude Engeler auf, wie die Spannung im nur 20 Zentimeter starken Stamm selbst die schärfste Kettensäge einklemmt – und den Baum geradezu wütend um sich schlagen lässt, falls die Säge von der falschen Seite angesetzt wird.
Am Nachmittag dann ging es verschärft weiter – im Laubholz, welches laut Engeler «ehrlicher» – also gefährlicher – ist als das am Vormittag bearbeitete Nadelholz. «Laubholz hat längere Fasern und kann daher wesentlich mehr Spannung aufnehmen als Nadelholz. Bei Laubholz passiert sehr lange nichts – und dann alles auf einmal. Am gefährlichsten sind Eschen. Sie trachten dem Holzmann nach dem Leben», warnte Engeler die fünf Männer und eine Frau der Sirnacher Feuerwehr. «Lasst wirklich immer und unbedingt die Finger von allem Holz, das grösser und schwerer ist als das, was ihr mit den Händen selbst zu tragen vermögt. Selbstüberschätzung oder falscher Ehrgeiz sind brandgefährlich», mahnte er.
Die verspannte Esche ist ein «Totschläger»
Wie recht er damit hat, zeigte sich schnell. Beim Arbeiten im Laubholz stieg die Zahl der im Holz verklemmten Sägen sprunghaft an. Alle Kursteilnehmer mussten erkennen: Selbst lediglich oberschenkeldicke Stämme dürfen niemals unterschätzt werden. Und bei stark verspanntem Bruch- und Sturmholz können selbst Profis mit jahrzehntelanger Berufserfahrung und mehreren Weltmeistertiteln im Holzen wie Claude Engeler niemals mit absoluter Sicherheit sagen, in welche Richtung Spannung im Holz wirkt.
Um das zu demonstrieren, ging es – Höhepunkt des Kurses – am späteren Nachmittag darum, eine umgestürzte, zwischen zwei anderen Bäumen eingeklemmte, stark verspannte Esche zu zerlegen. Eine Arbeit, welche für die Kursteilnehmer viel zu gefährlich gewesen wäre und die Claude Engeler daher persönlich übernahm. Die Kursteilnehmer erlebten dabei – aus sicherer Entfernung –, wie die sich schlagartig lösende Spannungsenergie den kapitalen Stamm beim Trennschnitt nahezu senkrecht gut einen Meter nach oben katapultierte. Ein ebenso eindrücklicher wie lehrreicher Schreckmoment. Denn zuvor, als die Kursteilnehmer entscheiden sollten, wo sie den Trennschnitt setzen würden, hätten sie allesamt falsch entschieden. Sie hatten nämlich erwartet, der Stamm würde, in einer Ebene mit seiner Biegung, seitlich horizontal wegschnalzen. «Hätte ich da geschnitten, wo ihr es vorhattet, wäre ich jetzt garantiert schwer verletzt», erklärte Claude Engeler.
Im Anschluss wurde der Stamm mit einem Zangenschlepper aus dem Unterholz gezogen und in etwa einem Meter Höhe so in der Luft gehalten, dass erneut eine leichte Spannung im Holz aufgebaut werden konnte. So konnten die Feuerwehrkräfte nochmals üben, wie Trennschnitte im leicht verspannten Holz auch bei dickeren Stämmen korrekt aufgeführt werden – und worauf es dabei ankommt.
Vorsicht und Eigenschutz sind oberstes Gebot
Nach der Rückkehr ins Ausbildungszentrum und dem Parkdienst an den verwendeten Gerätschaften fasste Claude Engeler bei der Schlussbesprechung nochmals die wichtigsten Erkenntnisse des Tages zusammen: «Überschätzt euch nicht, legt beim geringsten Zweifel nicht selbst Hand an, sondern ruft uns Profis mit dem nötigen schweren Gerät zu Hilfe. Seid im Sturm- und Bruchholz besonders zurückhaltend und vorsichtig, tragt stets die komplette Schutzbekleidung und arbeitet vor allem immer nur im Binom und mit dem nötigen Abstand. Einer sägt, der Zweite kontrolliert aus mindestens zwei Meter Distanz das Umfeld, die Sicherheit und jeden Handgriff des anderen. Steht dieser gut zum Baum, stabil, sicher und unverkrampft? Trägt er die Schutzkleidung? Hält er die Säge korrekt? Setzt er sie am rechten Ort an? Führt er sie richtig? Wenn ihr all dies beachtet und keine Bäume zu räumen versucht, deren Stämme dicker als eure Oberschenkel sind, schliesst ihr die allergrössten Risiken aus.»
Einer der Teilnehmer fasste bei der abschliessenden Rückschau den «Nagel», den er persönlich aus dem Kurs mitnimmt, folgendermassen zusammen: «Kenne und respektiere deine Grenzen, riskiere nicht aus falsch verstandener Heldenhaftigkeit die Gesundheit oder das Leben. ‹Feigheit vor dem Baum› ist nicht nur erlaubt, sondern gefordert – ganz besonders im Bruch- und Sturmholz!»