Die Treppe hinab über die Grenze
© Hôtel Arbez
Die schweizerisch-französische Grenze durchtrennt das Hôtel Arbez Franco-Suisse genau am linken Rand des Fassadengemäldes.Im Waadtland, im Weiler La Cure, auf etwa 1'150 Meter über Meer steht ein weltweit einzigartiges Hotel. Im Hôtel Arbez Franco-Suisse verläuft die Landesgrenze mitten durch Speisesaal, Küche, Flur und Zimmer. Ja sie teilt sogar das Bett der Hochzeitssuite.
In der Schweiz gibt es laut «hotelleriesuisse» mehr als 5'000 Hotels. Eines von ihnen ist weltweit einzigartig: Das im 19. Jahrhundert errichtete Hôtel Arbez Franco-Suisse liegt zu etwa einem Drittel in der Schweiz, im Waadtländer Städtchen La Cure, Gemeinde Saint-Cergue. Der grössere Teil der Liegenschaft aber liegt in Frankreich – dort, wo La Cure zur französischen Gemeinde Les Rousses gehört.
Diese einzigartige Lage führt dazu, dass Gäste des im Laufe der Jahrhunderte durch diverse Anbauten im alpinen Stil erweiterten Hotels zwar in der Schweiz essen und schlafen, den Aperitif oder den Absacker vor dem Gang ins Bett aber in Frankreich zu sich nehmen – denn dort liegt die Bar. Zudem müssen sie, um auf den Parkplatz hinter dem Gebäude zu fahren, jedes Mal die Grenze passieren. Und selbst in der Honeymoon-Suite erhält das Wort «Grenzverkehr» eine ganz neue Dimension. Denn deren Bett liegt halb in der Schweiz und halb in Frankreich ...
Napoleon hat Schuld ...
Ursächlich für diese Skurrilität war der von 1805 bis 1862 zwischen Frankreich und der Schweiz tobende Streit um das Vallée des Dappes. Dieses wurde 1805 von Napoleon Bonaparte annektiert, 1815 vom Wiener Kongress wieder der Schweiz zugesprochen – und 1861 von Napoleon III. mit Truppen besetzt. Diese Eskalation führte 1862 letztlich zu einem Landabtausch zwischen der Schweiz und Frankreich, in dessen Folge der einst rein französische Weiler La Cure teilweise der Schweiz zufiel. Immerhin durften dabei die Bewohner der getauschten Gebiete alle ihre bisherigen Rechte am Grundbesitz behalten und sogar die Staatsbürgerschaft frei wählen.
Errichtet von einem Schmuggler
Besonders clever ging der Franzose R. Ponthus vor. Der passionierte Schmuggler nutzte die Zeit zwischen der Unterzeichnung des Vertrages im Winter 1862/1863 und dessen Inkrafttreten im Frühjahr 1863 und errichtete ungeachtet aller Schweizer Proteste das heutige Hotel gezielt zu rund einem Drittel auf Schweizer Gebiet. Auf der französischen Seite eröffnete er eine Gaststätte, auf Schweizer Territorium das «Magasin R. Ponthus». So konnte er forthin seine «Import-Export-Tätigkeiten» vom Flur über die Gasse erledigen.
Nach R. Ponthus’ Tod anno 1895 übernahmen seine Söhne Raymond und Alphonse die Geschäfte. Sie gründeten das Hôtel de la Frontière – und veräusserten dieses 1921 an Jules-Jean Arbez, der ihm seinen heutigen Namen gab.
Schauplatz weltpolitischer Entscheidungen
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Hotel dann zum Schauplatz der Weltpolitik: Da die Treppen im Haus zwar in Frankreich beginnen, jedoch auf Schweizer Boden enden, durften die im Hotel verkehrenden deutschen Besatzer zwar dessen französischen Teil betreten – nicht aber in die Räume im Obergeschoss oder in den Keller vorstossen. Jules-Jean Arbez’ Sohn Max nutzte dies, um Mitglieder der Résistance im Hotel zu verstecken und Flüchtlinge, darunter britische Soldaten sowie Juden, in die sichere Schweiz zu schleusen, womit er mehreren Hundert Menschen das Leben gerettet haben dürfte.
Rund 16 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, am 9. Dezember 1961, kam dem Hotel erneut eine wichtige politische Rolle zu. Damals trafen sich Diplomaten Frankreichs und über die neutrale Schweiz angereiste Vertreter des algerischen Front de Libération Nationale im Hôtel Arbez Franco-Suisse zu Vorverhandlungen über die Beendigung des Algerienkriegs.
Bilder und Farben zeigen den Grenzverlauf
© Hôtel ArbezGrenzwertig ruhen in der Honeymoon-Suite: links in der Schweiz, rechts in Frankreich.Die bemalte Fassade des Hotels sowie kleine Markierungen in den Räumen erleichtern es den Gästen, festzustellen, ob sie sich in der Schweiz oder in Frankreich befinden. Von aussen ist die Grenzlinie an einem grossen Gemälde ablesbar. Dessen giebelseitiger Rand markiert die Grenzlinie. Die Fenster darüber gehören zu Zimmer 12 – in dem man in der Schweiz schläft (rechtes Fenster), aber in Frankreich duscht und die Zähne putzt (linkes Fenster, Badezimmer). Im Hotelinneren verläuft die Grenze quer durch Speisesaal, Flur und Küche. Die erst später angebaute Brasserie samt Bar indes liegt gänzlich in Frankreich. Tipp: Wer nicht sicher ist, sollte nach einer Steckdose Ausschau halten. Diese nämlich entsprechen stets dem jeweiligen Landesstandard.
Zwei verschiedene Adressen
Wer Lust verspürt, einmal «grenzwertig» zu schlafen, zu essen und zu logieren, findet unter www.arbezie.com alle Informationen zu dem in vierter Generation als Familienbetrieb geführten Hotel. Für die zielsichere Anreise kann er wahlweise eine der folgenden Adressen ins Navigationssystem eingeben: «601 Rue de la Frontière, F-39220 Les Rousses» oder «Route de France 61, CH-1265 La Cure».