Wenn es brennt, zählt jede Sekunde. Das weiss jedes Kind – und natürlich auch die Einsatzkräfte der Feuerwehr. Trotzdem hat die Freiwillige Feuerwehr der Thurgauer Gemeinde Bichelsee-Balterswil ein auf 45 km/h Höchstgeschwindigkeit limitiertes Atemschutzfahrzeug beschafft. Kommandant Thomas Lupinc erklärt, weshalb er und sein Team so entschieden haben.
Als die Freiwillige Feuerwehr Bichelsee-Balterswil Anfang April 2023 im Rahmen der örtlichen Gewerbeausstellung «Schaufenster Bichelsee-Balterswil» ihr im Dezember 2022 ausgeliefertes Atemschutzfahrzug der Öffentlichkeit präsentierte, rieben sich manche Betrachter verwundert die Augen, sobald sie das stattliche Fahrzeug zur Hälfte umrundet hatten. Der Grund: Am Heck des zu Ehren einer Samariterin des Samaritervereins Bichelsee-Balterswil-Eschlikon auf den Namen «Anja» getauften Feuerwehrfahrzeugs prangt unübersehbar ein «45 km/h»-Aufkleber. Diesen kennt man sonst ja eher von jenen klapprigen Suzuki-Jeeps, mit denen in ländlichen Regionen vereinzelt junge Erwachsene und vorwiegend ältere Semester durch die Gegend zuckeln, und so fragten sich die Menschen und auch wir: «Was soll das denn?»
Doch Thomas Lupinc, langjähriges Mitglied der Bichelsee-Balterswiler Feuerwehr und seit Anfang 2023 deren Kommandant, hat ein beruhigendes Lächeln auf den Lippen, als er beim Lokaltermin in dem im Zivilschutzkeller der Sekundarschule Lützelmurg untergebrachten Feuerwehrdepot Rede und Antwort steht.
«Natürlich mutet es auf den ersten Blick skurril an, dass ausgerechnet ein Feuerwehrfahrzeug auf eine maximale Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h plombiert ist», gesteht er ein. «Doch nicht nur ich und die Verantwortlichen der Gemeinde, sondern auch die gesamte Mannschaft unserer freiwilligen Feuerwehr sind überzeugt, dass wir den richtigen Entscheid gefällt haben, als wir uns für genau dieses Fahrzeug entschieden haben», sagt der Kommandant – und entführt uns zunächst in die Vergangenheit der Feuerwehr Bichelsee-Balterswil.
Einst klein und überladen ...
«Bisher waren wir mit einem deutlich kleineren, auf Basis eines Renault-Transporters aufgebauten Atemschutzfahrzeug unterwegs», erzählt Thomas Lupinc. «Dieses war zwar aufgrund seiner geringen Grösse und seiner Leichtigkeit sehr wendig und durfte mit dem PW-Führerschein pilotiert werden. Allerdings war es auch ständig überladen, weshalb wir es nicht nur vor jeder Kontrolle zu einem guten Teil abrüsten, sondern im Übungs- und Einsatzfall eigentlich auch illegal betreiben mussten.»
Das bisherige Fahrzeug habe, wie Lupinc weiter ausführt, im Transportraum lediglich Raum für die Ausrüstung von maximal neun Atemschutzkräften (drei Trupps) sowie einen kompakten Lüfter geboten. In der Kabine durften überdies nur zwei Personen Platz nehmen. Zusätzlichen Platz für Rettungsgeräte, Sanitätsmaterial, ein Stromaggregat oder Material für die Verkehrsregelung gab es nicht.
«Entsprechend standen wir, als es um die Konfiguration eines Nachfolgefahrzeugs ging, vor einem Dilemma, das wohl jede freiwillige Feuerwehr kennt», sagt Thomas Lupinc. «Entweder wir erwerben erneut ein Fahrzeug der 3,5-Tonnen-Kategorie, das zwar mit dem PW-Führerausweis gefahren werden darf, aber einfach zu wenig Platz und Zuladung bietet. Oder wir steigen auf einen 7,5-Tonner um, der dann allerdings nur von Inhabern eines Lkw-Führerscheins gefahren werden darf.»
Zur Eruierung möglicher Lösungsansätze bildete die freiwillige Feuerwehr Bichelsee-Balterswil anno 2020 eigens ein Entscheidungsgremium, bestehend aus Thomas Lupinc (damals noch Vizekommandant unter Roger Beerli, der Ende 2022 nach zehn Jahren als Kommandant das Zepter weiterreichte), einem Atemschutz-Offizier, dem Chef Ausbildung, dem für das Ressort Sicherheit zuständigen Gemeinderat sowie einem in der Lkw-Branche tätigen externen Knowhow-Träger.
«Dieses Gremium kam nach eingehender Abwägung aller Anforderungen, der Besonderheiten des Einsatzraums (siehe Box) sowie einer Kosten-Nutzen-Analyse zum Schluss, dass ein mit Allradantrieb ausgerüstetes, auf 45 km/h plombiertes Fahrzeug der 7,5-Tonnen-Klasse die goldene Mitte bildet», sagt Thomas Lupinc. «Einerseits löst dieses Fahrzeug unsere Platz- und Gewichtsprobleme, andererseits kann es mit dem PW-Ausweis gefahren werden, was für uns als Milizfeuerwehr ein sehr entscheidendes Kriterium darstellt. Und drittens können wir dank des Allradantriebs die teils steilen und keineswegs immer asphaltierten Fahrwege im Einsatzgebiet jederzeit sicher bewältigen – im Sommer wie auch im Winter.»
... heute gross und leistungsfähig
Ausgerüstet wurde das von der Tony Brändle AG auf die Räder gestellte Atemschutzfahrzeug «Anja» mit allem, was ein modernes ASF auszeichnet. Im mit Rollladentüren links und rechts auswartenden Koffer findet in vier Drehgestellen die Ausrüstung von vier Atemschutztrupps zu je drei Personen genügend Platz. Des Weiteren sind im Kofferaufbau zwei Ventilatoren (gross und klein), mehrere Kleinlöschgeräte, ein Stromaggregat, eine ausreichende Menge Material für die Regelung und Sicherung des Strassenverkehrs, Sanitätsausrüstung, zwei Leitern sowie ein Retabliertisch untergebracht. Zusätzliche Staufächer zu beiden Seiten, jeweils vor und hinter der Hinterachse, bieten weiteren Stauraum für Gerätschaften und Material. Davor, in der geräumigen Doppelkabine, finden bis zu sieben Personen Platz. «So kann endlich der Rettungstrupp direkt im Atemschutzfahrzeug mitfahren, anstatt wie bisher gemeinsam mit den anderen Angehörigen der Atemschutzmannschaft mit privaten Fahrzeugen nachzufolgen», freut sich Thomas Lupinc.
Aus Alt mach Neu
Das alte ASF, das zwar schon etliche Jahre auf dem Buckel, aber noch kaum Kilometer abgespult hat, wurde in Eigenregie umgebaut und dient der Freiwilligen Feuerwehr Bichelsee-Balterswil nun als Führungsunterstützungsfahrzeug sowie als Mobilitätsreserve für Einsätze im
Rahmen der Verkehrsregelung und -sicherheit sowie bei Materialtransporten, beispielsweise im Hochwasserfall.
Somit, so der Kommandant, verfüge seine Truppe über eine perfekte Ergänzung zum bestehenden Tanklöschfahrzeug «Heidi». «Das 1991 gebaute, seit 2005 bei unserer Feuerwehr im Einsatz stehende TLF ist für den Ersteinsatz bestens gerüstet. Es bietet Platz für drei Zweier-Trupps, hat eine bis heute zeitgemässe Ausstattung, verfügt ebenfalls über Allradantrieb und ist vergleichsweise schnell und wendig. Dennoch – das haben die bisherigen Übungen sowie auch die ersten Ernsteinsätze gezeigt – vermag es dem voll ausgerüsteten und voll besetzten Atemschutzfahrzeug nicht zu enteilen. Dies einerseits aufgrund der Tatsache, dass wir nur wenige und zudem sehr kurze Tempo-80-Strecken im Einsatzraum zu absolvieren haben. Andererseits aber auch, weil die Strassen sowohl innerhalb des Ortsgebiets als auch zwischen dem Hauptdorf und den zugehörigen Weilern und Höfen eher schmal, kurvig und teils nicht asphaltiert sind.»
Natürlich, so Thomas Lupinc, könne das TLF dem Atemschutzfahrzeug auf gerader Überlandstrecke schon einmal kurzfristig einige Fahrzeuglängen davonziehen. Doch spätestens nach zwei, drei Kurven klebe «Anja» wieder am Heck von «Heidi». «Jeder Fluchtversuch des TLF wurde bisher vom Atemschutzfahrzeug ganz entspannt vereitelt», schmunzelt Thomas Lupinc.
Aussergewöhnlich, aber überzeugend
Dies sei für die Einsatzkräfte ein ebenso überzeugendes Argument wie die Tatsache, dass das neue Atemschutzfahrzeug markant mehr Platz und auch Komfort bietet. «Die Frauen und Männer stehen zwischenzeitlich voll und ganz hinter dem Entscheid für genau dieses Fahrzeug», betont Thomas Lupinc. «Spätestens seit der jeweils ersten Ausbildungsfahrt haben alle verstanden, weshalb wir uns so entschieden haben. Alle schätzen es, Radien jeglicher Couleur auf jedem Untergrund auf sicherer Linie umrunden zu können, anstatt überladen und mit massiver Schräglage durch die Kurven eiern zu müssen. «Das Plus an Lenk- und Fahrstabilität ist nämlich vom ersten Meter an, sowohl auf Asphalt als natürlich auch an steilen Passagen und auf Forststrassen, deutlich spürbar.» Zudem gibt der Kommandant zu bedenken, dass Atemschutzfahrzeuge ja grundsätzlich erst in der zweiten Welle ausrücken. «Das reduziert den Zeitdruck – und wir haben bei den bisherigen Übungen und Ernsteinsätzen mehrfach erfahren, dass wir mit dem 45-km/h-Fahrzeug schneller oder in mindestens ebenbürtiger Zeit am Einsatzort eintreffen, als wenn wir zwar schneller fahren könnten, zuvor aber einige Minuten auf die Ankunft eines zum Führen eines Lkw berechtigten ADF warten müssten.»
Doch auch wenn alle eventuellen Restbefürchtungen sich zwischenzeitlich als unbegründet erwiesen haben, hat sich die Freiwillige Feuerwehr Bichelsee-Balterswil eine Hintertür offen gehalten, wie der Kommandant verrät: «Hätte sich im Betrieb gezeigt, dass mit dem plombierten Fahrzeug zu viel Wegzeit auf der Strecke bleibt, hätten wir die Möglichkeit gehabt, die Plombierung zu entfernen.»
Dasselbe gilt für den recht unwahrscheinlichen Fall, dass plötzlich ein halbes Dutzend im besten Alter befindliche Lkw-Chauffeure Aktivmitglieder der Freiwilligen Feuerwehr Bichelsee-Balterswil werden sollten.