Wir haben Alain Thommen und Stefan Meier nach ihren Erfahrungswerten gefragt – und um Tipps zur Fehlervermeidung bei der Evolution der Flotte gebeten. Das Wichtigste in 8 Punkten.
1. Das beste Fahrzeug ist nutzlos ohne passende Infrastruktur
Wer Strom laden statt Benzin oder Diesel tanken muss, ist zweifach im Nachteil. Erstens dauert Laden selbst beim derzeit am schnellsten nachladbaren E-Auto, dem Hyundai Ioniq 5 mit 800-V-Technologie, selbst im Idealfall am 350-kW-Lader mindestens 18 Minuten (20 bis 80 %) – also deutlich länger als Tanken. Zweitens muss, wer eine Flotte mit BEV und Plug-in-Hybriden betreibt, an jedem Standort respektive Stützpunkt die nötige Ladetechnik vorhalten. Das kostet Geld und bedingt gute Planung. Laut Stefan Meier wird beispielsweise der Audi e-tron 55 Quattro, den die Kapo ZH seit 2020 bei der Verkehrspolizei einsetzt, bis heute mit einem mobilen 44-kW-Gleichstromladegerät geladen. «Zwar sollen alle Stützpunkte der Verkehrspolizei mit je einer 184-kW-Schnellladesäule (zwei Ausgänge) bestückt werden, allen voran die Stützpunkte Urdorf (Audi e-tron) und Bülach (neuer BMW iX). Doch trotz frühzeitiger Planung konnten diese bisher noch nicht geliefert und installiert werden – wobei sich das in Kürze ändern soll», erklärt Alain Thommen.
Ursächlich für die Länge des Prozesses sei, dass in einem Beschaffungsprozess verschiedene Partner respektive Behörden involviert sind – beispielsweise für die Ausschreibung der AC-Lader (Wechselstrom), welche alsbald jeden dritten Parkplatz der Kapo ZH zieren und von der Firma Repower geliefert werden. «Die ersten AC-Lader, jeweils mit maximal 22 kW, sind zwischenzeitlich in Betrieb, weitere werden folgen», sagt Stefan Meier.
Fazit:
Die Transformation der Flotte bedingt einen zeitgleichen, wohl geplanten Ausbau der Infrastruktur. Sind unterschiedliche Institutionen (z. B. Polizei und Immobilienverwaltung) involviert, sollten übergreifende Teams mit der nötigen Fachexpertise gebildet und klare Ansprechpersonen benannt werden – damit die Kommunikation reibungslos klappt und Projekte zügig abgewickelt werden können.
2. Reichweitenangst ist unbegründet, Skepsis bei WLTP-Werten aber angebracht
Alain Thommen war selbst mit dem Audi e-tron 55 Quattro im Dienst auf der Autobahn unterwegs – und gibt hinsichtlich der oft beschworenen Reichweitenangst Entwarnung. Zumindest grösstenteils. «Ich kann mich an keinen Fall erinnern, an dem eine Patrouille das Fahrzeug aufgrund eines leeren Akkus hätte wechseln müssen. Zwar wurde es bisweilen schon mal etwas knapp. Doch diese Fälle kann ich an einer Hand abzählen», sagt er. Durchschnittlich würden die Autobahnpatrouillen maximal 200 Kilometer pro Schicht zurücklegen. Dafür reichten die 300 Kilometer Praxisreichweite, die bei den bisher rund 180’000 abgespulten Dienstkilometern mit dem Audi e-tron als verlässlicher Wert ermittelt wurden, durchaus. «Allerdings», gibt Alain Thommen zu bedenken, «leert sich der Akku bei einer Dringlichkeitsfahrt deutlich schneller.» Daher sei es eminent, das Fahrzeug zu laden, wann immer es sich im Stützpunkt befindet: «Wer das Auto konsequent während der Pause, der Sachbearbeitung oder anderer Anwesenheitszeiten im Stützpunkt lädt, kann seine Schicht ohne die Angst absolvieren, mit leerem Akku liegen zu bleiben.» Immerhin hält Alain Thommen aber auch fest: «Die Akkuleistung des Audi e-tron 55 Quattro hat auch nach rund 180’000 Kilometern nicht messbar nachgelassen.»
Stefan Meier rät, die WLTP-Angaben der Hersteller nicht für bare Münze zu nehmen: «Wie bei den Verbrauchsangaben von Verbrennern gilt auch bei E-Autos: Laborwerte sind keine Realwerte, wobei die Abweichungen bei manchen Herstellern deutlich grösser sind als bei anderen.» So betrage die WLTP-Werksangabe beim Audi e-tron 55 Quattro 411 Kilometer – bei realistischen 300 Kilometer Praxisreichweite. Der mit 450 Kilometern angegebene Hyundai Kona electric indes fahre schon so 400 Kilometer weit – auch wenn Klimaanlage oder Heizung eingestellt sind und selbst bei niedrigeren Temperaturen.
Fazit:
Trau – schau – wem! Vertrauen Sie nicht blind auf die «Bis zu xxx Kilometer»-Angaben in den Hochglanzprospekten der Hersteller. Suchen Sie stattdessen nach Testberichten unabhängiger Redaktionen, des ADAC oder des TCS – und nehmen Sie den Mittelwert der Testresultate als Anhaltspunkt. Damit sind Sie wesentlich näher an der Wahrheit.
3. Reichweite ist viel – beim BEV aber längst nicht alles
Auch wenn die Praxisreichweite eines E-Autos ein entscheidender Faktor für die Einsatzfähigkeit ist, so ist diese nicht das einzig entscheidende Kriterium! Denn es stellt sich auch die Frage: «Wie schnell kann ich das Fahrzeug laden – und was benötige ich dazu?» Stefan Meier: «Mit unseren Nissan Leaf hatten wir das Problem, dass diese nur einphasig laden können. Daher zogen sie an den 22-kW-AC-Ladern nur
3,6 kW, was nicht praxistauglich war. Erst durch eine Adaption der Ladestationen seitens des Lieferanten Repower konnte die Leistung auf die vom Fahrzeug möglichen 7,2 kW gesteigert werden.»
Zwar gibt es heutzutage kaum noch neue E-Auto-Modelle, die nur über ein einphasiges On-Board-Ladegerät verfügen – üblich sind 3-Phasen-Ladegeräte mit 11 kW Ladeleistung. Doch nach wie vor bestehen grosse Unterschiede bei der Leistungsfähigkeit der im Fahrzeug verbauten Ladeelektronik – auch hinsichtlich der maximalen Ladeströme an Gleichstrom-Schnellladern.
Fazit:
Die beste Reichweite nützt nichts, wenn das im Auto verbaute Ladegerät zu schwachbrüstig ist. Achten Sie auf die Fähigkeit, an der AC-Stromtankstelle 3-phasig zu laden – und auf eine hohe maximale Ladefähigkeit am DC-Schnelllader.
4. «Weniger ist mehr!» Das gilt für den CO2-Ausstoss, aber auch fürs Gepäck
Ein Manko, das nahezu alle BEV teilen, sind kleine Laderäume und eine stark eingeschränkte maximale Zuladung. «Den Traum jedes Polizeiflottenchefs, ein E-Fahrzeug, das in puncto Aussenabmessungen, Karosserieform, Laderaumvolumen sowie Zuladung einem typischen, sportlichen Business-Kombi entspricht, ausgerüstet mit Allradantrieb, 500 Kilometer Praxisreichweite sowie grundlegender Vorbereitung für den Behördendienst, baut bisher leider kein einziger Hersteller», bedauert Stefan Meier. Zwar könne man hinterfragen, ob wirklich alles, was Patrouillenfahrzeuge üblicherweise mitführen, zwingend sei. «Doch im Sinn jederzeitiger Einsatzfähigkeit und -sicherheit ist ein bisschen Reserve bei den Einsatzmitteln sicher richtig», sagt Alain Thommen.
Wichtig: Stefan Meier ortet Platzprobleme nicht nur bei reinen E-Autos, sondern auch bei manchem Plug-in-Hybrid: «Der Platz für den zusätzlichen Akku geht meist zulasten des Laderaumvolumens. Beim Passat GTE beispielsweise ist zwar der eigentliche Laderaum identisch mit dem des Benziners oder Diesels. Allerdings fehlt die Mulde unter dem Kofferraumboden. Da in dieser weitere Einsatzmittel Platz finden, wenn das Fahrzeug mit einer Hundebox ausgerüstet ist, eignet sich das Plug-in-Hybrid-Modell Passat GTE nicht für unsere Diensthundeführer*innen», sagt Meier.
Fazit:
Prüfen Sie genau, ob der Laderaum, die zusätzlichen Stauräume sowie die maximale Zuladung die minimalen Anforderungen erfüllen. Bevor Sie Letztere formulieren, lohnt es, zu evaluieren, welche Einsatzmittel zwingend sind – und worauf ohne Not verzichtet werden kann.
5. Vergessen Sie nie: Hitze und Kälte kosten Reichweite!
Die Reichweite eines BEV hängt nicht nur vom Fahrstil, dem Durchschnittstempo und dem Höhenprofil der Strecke ab, sondern auch davon, ob leistungsstarke Verbraucher ein- oder ausgeschaltet sind – namentlich Klimaanlage oder Heizung. Bei nicht wenigen E-Fahrzeugen schrumpft die Reichweite um bis zu 20 Prozent, wenn die Klimaanlage läuft. Die Heizung frisst oft noch mehr Reichweite – und das in der kalten Jahreszeit, wenn die Reichweite ohnehin niedriger ist als im Sommer, wenn für den Akku ideale Temperaturen herrschen. Stefan Meier weiss: «In zunehmend mehr E-Auto-Modellen ist eine Wärmepumpe verbaut. Diese verbraucht markant weniger Strom, weshalb die Reichweiteneinbusse in der kalten Jahreszeit bei diesen Fahrzeugen deutlich kleiner ist.»
Zudem lohnt es, BEV stets in einer Garage einzustellen. Im Winter hat der Akku weniger Kältestress und der Stromverbrauch für die Akkuheizung wird reduziert. Im Sommer verhindert der Garagenplatz ein starkes Aufheizen des Innenraums – weshalb die Klimaanlage weniger benötigt wird. Zu jeder Jahreszeit lohnt zudem die Vortemperierung des Innenraums via Zeitsteuerung, solange das Fahrzeug noch an der Ladestation hängt.
Fazit:
Klären Sie, welche Art von Heizung/Klimatisierung das vorgesehene E-Auto hat, parkieren Sie es wann immer möglich in einer Garage und nutzen Sie die Möglichkeit zur Vortemperierung des Innenraums – vor allem im Winter, wenn der Akku aufgrund der Kälte nicht seine volle Kapazität entfalten kann.
6. E-Auto fahren will gelernt sein! Gute Ausbildung ist eine lohnende Investition
Wie bei Verbrennerfahrzeugen entscheiden auch beim E-Auto vor allem der rechte Fuss und der Fahrstil über Verbrauch und Reichweite. Allerdings nützen konventionelle Eco-Drive-Fahrkurse, wie sie die Angehörigen der Kapo ZH absolvieren, bei E-Fahrzeugen wenig. Viel entscheidender ist die Auseinandersetzung mit deren Technik, insbesondere der Fähigkeit, zu «gleiten» und mit dem Motor zu bremsen (Rekuperation), wobei Strom erzeugt und der Akku wiedergeladen wird.
Fazit:
Sensibilisieren Sie die Mitarbeitenden für die Funktionsweise und optimales Fahren mit einem BEV: Wer Technologie versteht, kann diese korrekt anwenden und ihre Vorteile auskosten. Bedenken Sie dabei: «Gutes Fahren» schlägt sich direkt in niedrigeren Betriebskosten nieder.
7. Disruptive Technologien: Respekt ist sinnvoll, Furcht ist unbegründet
Seit Juni 2020 testet die Kantonspolizei Zürich den Brennstoffzellen-SUV Hyundai Nexo, der mit Wasserstoff betankt wird, bis zu 600 Kilometer weit stromern kann und bei der Verkehrsabteilung Zürich in Dübendorf stationiert ist. Zwar sei der Wagen grundsätzlich zuverlässig, erklärt Alain Thommen. «Doch der 120-kW-Motor hat Mühe mit dem Gewicht des 4,67 Meter langen SUV.» Zudem komme, erklärt Stefan Meier, der Ausbau des H2-Tankstellennetzes in der Schweiz leider nicht so rasch voran wie erhofft.
Fazit:
Wer stetig besser werden will, muss allen Technologien – auch ungewohnten oder ganz neuen – offen gegenübertreten. Er sollte aber Rückschläge, auch in ausserhalb des eigenen Einflusses liegenden Bereichen, einkalkulieren.
8. Fragen kostet nichts – und nicht zu fragen, oft teures Lehrgeld
Es gibt keine dummen Fragen – aber wer nicht fragt, bleibt dumm! Diese Regel gilt auch für den Umstieg auf Fahrzeuge mit alternativen Antriebstechnologien. Daher stehen Alain Thommen und Stefan Meier einem verstärkten Erfahrungs- und Wissensaustausch zum Thema sehr offen gegenüber. «Wer Fragen hat, darf uns gerne kontaktieren – auch auf dem kleinen Dienstweg», sagen beide unisono.